Soviet Hippies

Terje Toomistu

Ein wilder Flowerpower-Ritt auf den Spuren der sowjetischen Hippiebewegung nimmt uns mit in den psychedelischen Untergrund der 70er Jahre

Unter dem Druck des politischen Regimes schuf eine bunte Gruppe von Künstlern, Musikern, Freaks, Vagabunden und anderen langhaarigen Systemverweigerern auf der Suche nach Freiheit und Glück ihre eigene Subkultur, mit eigenen Ausprägungen von Rockmusik, freier Liebe und Friedensbotschaften – eine Alternative in der Sowjetunion. Aktiv politisches Engagement dieser „Soviet Hippies“ nahm meist ein schlechtes Ende und die Frage, welche gesellschaftlichen Veränderungen sie bewirkten, muss offen bleiben.

Filmemacherin Terje Toomistu verwendet viel Amateurfilme aus der Zeit, doch sie erschließt sich ihr Thema aus der Gegenwart heraus, indem sie eine Gruppe gealterter exzentrischer Hippies aus Estland auf einer Reise nach Moskau begleitet. Dort findet bis heute jedes Jahr am 1. Juni ein Hippiefestival statt – das Datum erinnert an tragische Vorfälle im Jahr 1971, als tausende Hippies vom KGB festgenommen wurden.
Und so erzählen die Protagonisten des Films ihre Geschichten: von der Lebenslust und dem Einfallsreichtum, den es allein schon brauchte, um trotz des Eisernen Vorhangs an westliche Musik zu kommen; von damit verknüpften Sprachschwierigkeiten; von den meist verständnislosen bis repressiven Reaktionen von Familie, Nachbarn und der Mehrheitsgesellschaft; von wilden Reisen durch die weite Sowjetunion und von heimlich abgehaltenen Konzerten; von Drogen, von Räuschen und auch von Selbstzerstörung.

Regie: Terje Toomistu

Produktionsland: DE I EST I FIN
Produktionsjahr: 2017
Länge: 85 Minuten

 

 

 

Regisseurin Toomistu: „Wir sind aktuell Zeugen der Ausbreitung autoritärer Regime in Teilen der Welt, welche wir für demokratisch und human gehalten haben. Rückschläge beim Kampf für soziale Gerechtigkeit und Kriege wie der in der Ukraine fordern von uns Filmemachern, dass wir die öffentliche Diskussion über die Anwendung von Gewalt in Konflikten anregen. In diesem Zusammenhang heißt, auf die Geschichte der pazifistischen Bewegung in Osteuropa und Russland hinzuweisen, wie wir es mit unserem Dokumentarfilm tun, ein Licht auf einen weitestgehend unbeachteten Strang der Geschichte Osteuropas zu werfen: auf ein immenses kreatives Potential, welches sich im Schatten eines totalitären Regimes entwickelte. Erzählt wird die Geschichte eines explosiven Undergrounds, die nicht nur unser vermeintliches Wissen über die sowjetische Ära bereichert, sondern auch unser Verständnis von dem, was wir herkömmlich unter ‚DER Hippie-Kultur‘ verstehen.

Der Film hinterfragt beides: das Funktionieren von Macht und eine ‚Politik der Ekstase‘ als Grundlage für Konzepte von Freiheit und Selbsterfüllung. Ist Freiheit eine soziale Kategorie, die sich nach außen richtet und durch sichtbaren Protest und aktives Engagement realisiert wird? Oder geht es eher um einen inneren Prozeß, eskapistisch und einsam, um einen spirituellen Weg? Denken wir an die sozio-politische Landschaft des heutigen Russlands, tauchen solche Fragen beängstigend deutlich wieder auf.“

Terje Toomistu (*1985) ist eine estnische Regisseurin und Anthropologin. Nach Masterabschlüssen in Ethnologie und Medien- u. Kommunikationswissenschaften sowie einem Jahr an der UC Berkely als Fullbright-Fellow im Studienjahr 2013-2014 promoviert sie derzeit in Anthropologie an der Universität Tartu/Estland. Aktuell ist sie „Visiting Researcher“ für Anthropologie an der Universität von Amsterdam. Terje Toomistu interessiert sich in ihren Projekten regelmäßig für cross-kulturelle Prozesse, LGBT-Lebenswelten und kulturelle Erinnerungsprozesse. Zusammen mit dem estnischen Künstler Kiwa hat sie eine Multimedia-Ausstellung über Hippies in der Sowjetunion kuratiert, die international in mehreren Museen und Galerien gezeigt wurde. Ihr Film SOVIET HIPPIES – im estnischen Originaltitel ist von „sowjetischen Blumenzwiebeln“ die Rede! – wurde vor einem knappen Jahr auf Arte ausgestrahlt, allerdings in einer stark gekürzten Fassung von lediglich 52 Minuten.